Die Voest-Tochter hatte vor dreißig Jahren verbotenerweise Waffen an den kriegsführenden Iran verkauft. (erschienen im Standard 3.1.2016)
Es ist ein sehr österreichisches Paradoxon: Einerseits ist das Land neutral, andererseits zählen österreichische Waffen zu den beliebtesten der Welt – man denke nur an Glock-Pistolen oder Steyr-Mannlicher-Gewehre. Man beliefert, ganz legal, Polizeitruppen in den USA. Noble Jagdgesellschaften reißen sich genauso um österreichische Präzisionsware wie Militärs unterschiedlichster Länder – sofern sie nicht kriegsführend sind. Für Letztere gibt es nach dem Kriegsmaterialiengesetz keine Ausfuhrgenehmigung – was nicht bedeutet, dass nicht doch Waffen über dunkle Kanäle etwa in den Händen von IS-Kämpfern landen (der STANDARD berichtete).
Staatlicherseits wird jedenfalls mittlerweile strikt darauf geschaut, dass auch Private keine neutralitätsgefährdenden Handlungen setzen. Das war freilich nicht immer so. In den späten 1970er- und 1980er-Jahren ging die SPÖ-Alleinregierung mit dem Neutralitätsgebot sehr nonchalant um. Man belieferte, immer unter dem hehren Ziel, Arbeitsplätze in der Verstaatlichten Industrie sichern zu wollen, nahezu alle Staaten mit österreichischen Waffen, die diese bestellten.
Die Ausfuhrbestimmungen für Kriegsmaterialien interpretierten die befassten Behörden praktischerweise so “neutralitätskonform”, dass, wenn ein kriegsführender Staat beliefert wurde, eben auch der gegnerische Staat zum Zug kam. Wer beide Seiten bediene, könne ergo auch die Neutralität nicht verletzen, war eine Auslegung, die vor allem der mächtige Gewerkschaftschef Anton Benya pflegte.
Das ging freilich nicht lange gut. Weder gelang es, die strukturschwache, weil veraltete “Verstaatlichte” aus der Krise zu holen – noch konnte man sich diese schlampigen Verhältnisse außenpolitisch leisten.
Vor 30 Jahren, etwa um diese Jahreszeit, begann der “Noricum-Skandal” in Österreichs Medien so richtig zu erblühen. Ausgelöst haben ihn zwei Journalisten des Magazins “Basta”, Burkhardt List und Otto Grüner, die sich Ende August im damaligen jugoslawischen Hafen Kardeljevo (heute Ploce) Zutritt zu einem angeblich für Libyen bestimmten Noricum-Container verschafften. Darin befand sich ein Geschütz, an dessen Rohrende eine Gebrauchsanleitung befestigt war – nicht etwa auf Arabisch, wie der Bestimmungsort Libyen nahelegte, sondern in Farsi.
Beruhigende Bescheide
Damit fanden die beiden Reporter bestätigt, was die Spatzen seit Monaten von den Dächern pfiffen: dass die Waffenlieferungen der Voest-Tochter Noricum in Wahrheit an den gegen den Irak kriegsführenden Iran gingen. Interessanterweise hatten am 11. Juli 1986 Noricum-Manager dem damals für die Verstaatlichte zuständigen Bundesminister Ferdinand Lacina (SPÖ) den Libyen-Vertrag und weitere Dokumente vorgelegt, woraufhin das Ministerium laut Aktenvermerk beschied, dass die “eingesehenen Unterlagen ausschließlich auf ein Libyen-Geschäft hinweisen”.
Eine Anzeige durch den Journalisten List und einige Teillieferungen später wurde die Exportgenehmigung an Libyen zurückgezogen. Die Lieferungen gingen freilich weiter – mit gefälschten Papieren, über Spione, undurchsichtige Mittelsmänner, Schmiergeld und dunkle Kanäle.
Erst am 4. April 1990 eröffnete Richter Karl Makovsky in Linz den Strafprozess gegen 18 Manager der Noricum. Der Akt umfasste 300.000 Seiten. Die Anklage lautete auf Neutralitätsgefährdung. Nach fast einjähriger Prozessdauer wurden zwar 14 Manager verurteilt. Zwei Jahre später wurden die Strafen dann herabgesetzt, und sieben wurden freigesprochen.
In den zeitgleich stattfindenden Politikerprozessen gegen den ehemaligen Bundeskanzler Fred Sinowatz sowie Ex-Außenminister Leopold Gratz und Ex-Innenminister Karl Blecha wurde der Vorwurf des Amtsmissbrauchs und des Beitrags zur Neutralitätsgefährdung verhandelt. Gratz und Sinowatz wurden freigesprochen – Blecha erhielt eine befristete Verurteilung wegen Beweismittelfälschung und Urkundenunterdrückung. Während die Manager im Prozess versuchten, die Schuld ausschließlich auf die Politik zu schieben, blieben die Politiker eisern bei ihrer Version: Sie seien von den Noricum-Managern getäuscht worden, von illegalen Geschäften hätten sie nichts mitbekommen.
Die Wahrheit dürfte wohl irgendwo in der Mitte liegen. Das ergaben zumindest die Recherchen des Historikers Thomas Riegler, der sich für die kommende Jänner-Ausgabe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte die Waffengeschäfte Österreichs genauer angesehen hat. Riegler hat Aktenvermerke, Ministerratsprotokolle und Tagebucheinträge von Ministern während der Ära Kreisky und der Amtszeit Sinowatz’ durchforstet. Seine Schlussfolgerung: “Man war damals bereit, zum Erhalt von Arbeitsplätzen in der heimischen Stahlindustrie fast jeden Preis zu zahlen.”
Der “Alte”, wie sie ihn nannten, war keineswegs begeistert von der Aussicht, österreichische Qualitätsarbeit künftig verstärkt in Waffen zu stecken. Letztlich ließ er sich aber von der Gewerkschaft überzeugen, dass der Export von Hightechwaffen ein Mittel zur Rettung der Verstaatlichten sei. Er billigte die Pläne der Voest. Am Ende würde dann “Basta”-Herausgeber Wolfgang Fellner behaupten, der entscheidende Tipp zur Noricum-Recherche sei von Kreisky persönlich gekommen. Ob das so war, ist ungeklärt – gar viele Informationen von vielen, “gut informierten” Quellen schwirrten damals herum.
Dennoch zeigt es die Widersprüchlichkeit Kreiskys und der SPÖ. Historiker Riegler sagt, diese Widersprüchlichkeit sei aus der Stahlkrise der 1980er-Jahre heraus erklärbar – und den Erfahrungen Kreiskys und seiner Generation mit der Zwischenkriegszeit. Riegler: “Die haben aus der Geschichte gelernt, dass Arbeitslosigkeit politische Radikalisierung nach sich zieht und das in der Katastrophe endet.” Für Riegler hat der Noricum-Skandal “etwas von einer griechischen Tragödie”: “Man wollte das Gute, aber mit untauglichen Mitteln. Das hat einen Rattenschwanz an neuen Problemen nach sich gezogen.”
Das bestätigt auch Peter Pilz, mittlerweile ein “Urgestein” unter den grünen Nationalratsabgeordneten – damals freier Sozialwissenschafter, der 1992 das Buch “Die Panzermacher” schrieb. Pilz sagt heute zur Causa Noricum: “Die Bereitschaft zum Gesetzesbruch war bei den damals Regierenden vorhanden – aber es ging um Arbeitsplätze. Das ist der große Unterschied zu heute, wo es bestimmten Herrschaften nur um persönliche Bereicherung ging.”
Politische Nebenwirkungen
In seinem damals aufsehenerregenden Buch widmete sich Pilz der österreichischen Rüstungsproduktion und ihren Exporten – einem milliardenschweren Geschäft mit politischen Nebenwirkungen. Mitte der 1980er-Jahre waren rund 15.000 österreichische Arbeitsplätze direkt oder indirekt von Waffenproduktion abhängig.
1989 war das kleine, neutrale Österreich, laut Recherchen des Internationalen Friedensforschungsinstituts in Stockholm (SIPRI) immerhin an 14. Stelle der führenden Waffenexporteure in die Industriestaaten – mit einem Umsatzvolumen von 151 Millionen US-Dollar zwischen 1984 und 1988. Das war immer noch wenig, im Vergleich etwa zu den USA (rund 27 Milliarden Dollar im gleichen Zeitraum) oder der Sowjetunion (18 Milliarden Dollar).
Dennoch: Für Österreich war diese Art von Exportstärke ungleich heikler.
In der Regierungspartei SPÖ wurde das Thema auch heftig diskutiert. 1979, nachdem er von Voest-Chef Heribert Apfalter über die Rüstungspläne des Konzerns informiert worden war, thematisierte er die Sache in einem erweiterten Parteipräsidium und deponierte seine Bedenken. Doch die Wehrtechnik-Befürworter waren in der Mehrheit. Besonders oberösterreichische und steirische Parteifunktionäre sowie die Gewerkschaft seien vehement dafür eingetreten, die “Verstaatlichte” gewähren zu lassen.
Der damalige SPÖ-Zentralsekretär Karl Blecha erinnerte sich später, nur er und Heinz Fischer hätten damals dagegengestimmt – alle anderen seien dafür gewesen. Auch Blecha sollte am Ende die Deals mittragen – und vor Gericht landen.
Noricum-Gesamtprokurist Anton Elmer rechtfertigte sich im Prozess 1990 so: “Wenn ich jetzt höre, Kreisky war dagegen, dann möchte ich ein Zitat wiedergeben, was er wirklich zum Schluss gesagt hat: Okay, machts es, aber machts es unter der Tuchent.” Ähnliches berichtet auch Pilz von einem Gespräch, das er, Jahre nach Prozess und parlamentarischem Untersuchungsausschuss, mit einem anderen Noricum-Manager hatte. Pilz: “Der hat mir vor Zeugen erzählt, dass Kreisky alles gewusst und gesagt habe: ,Lasst euch nur nicht erwischen!'”
Jedenfalls machte Österreich in Kreiskys Zeit Waffenexport-Geschäfte mit Marokko, Tunesien, aber auch verschiedenen Staaten Lateinamerikas. Besonders pikant: Den Verkauf von 30 “Kürassier”-Panzern von Steyr-Daimler-Puch im Jahr 1979 fädelte ausgerechnet der NS-Kriegsverbrecher Klaus Barbie ein – der für seine Vermittlung eine monatliche Apanage von 800 US-Dollar erhielt.
1978, auf dem Höhepunkt des Grenzkonflikts zwischen Chile und Argentinien, lieferte Steyr-Daimler-Puch 57 Panzer, für 800 Millionen Schilling, nach Argentinien – wovor andere neutrale Staaten wie Schweden und die Schweiz zurückgeschreckt waren. Als es internationale Proteste hagelte, schreckte Kreisky zunächst davor zurück, auch einen Waffenexport nach Chile zu unterstützen. Als man aber die hanebüchene Klausel im Vertrag einfügte, man werde das gelieferte Kriegsgerät “nicht in Auseinandersetzungen im Inneren” einsetzen, gab er seine Zustimmung.
Es kam zu Demonstrationen vor dem Bundeskanzleramt, auch die SPÖ war gespalten in der Chile-Frage. Zudem hatte man nach den Lieferungen an Bolivien erleben müssen, dass der putschende Oberst Luis García Meza “Kürassier”-Panzer eingesetzt hatte, um etwa den Widerstand der Bergarbeiter zu brechen.
Im Ministerrat wurde über die geplante Chile-Lieferung über mehrere Tage gestritten. Während Pahr meinte, aus völkerrechtlicher Sicht sei es logisch, nach Argentinien auch Chile zu beliefern, legte sich der damalige Innenminister Erwin Lanc quer und drohte mit Rücktritt. Das hatte am Ende den Ausschlag gegeben, das Geschäft platzte. Lanc in seinen Erinnerungen: “Benya hat daraufhin ein Jahr lang nicht mehr mit mir geredet.”
Am Ende gescheitert
Aufgrund des engen Vertrauensverhältnisses zwischen Kreisky und dem schon damals als “Terrorpaten” geltenden libyschen Staatschef Muammar Al-Gaddafi fand 1984 der größte Waffendeal statt: Für rund zehn Milliarden Schilling gingen 200 GHN-45-Haubitzen und mehr als eine Million Granaten angeblich nach Libyen – in Wahrheit handelte es sich um das erste Scheingeschäft der Iran-Lieferungen. Die Auslieferung der Kanonen musste freilich 1986 gestoppt werden – als sich Libyen im Krieg mit dem Nachbarland Tschad befand. Bei Noricum suchte man sich flugs andere Scheinadressen, etwa in Lateinamerika und Osteuropa.
Gescheitert ist auch Kreiskys Nachfolger Sinowatz, der von Voest-Chef Apfalter gedrängt wurde, einen Waffendeal mit Indien abzuschließen. Sinowatz muss bei den Verhandlungen eine besonders unglückliche Figur gemacht haben – überliefert ist, dass ihm Apfalter bei den entscheidenden Gesprächen ins Ohr flüsterte: “Fredl, jetzt sagst Yes!”
Jedenfalls hatten die Voest und ihre Waffentochter Noricum fix mit dem Deal gerechnet und bereits auf Vorrat produziert. Als dieser platzte und man auf den Waffen sitzenzubleiben drohte, nahm der Noricum-Skandal rund um die Iran-Lieferungen seinen Anfang.
Für Historiker Riegler ist die Causa Noricum “ein Symptom des politischen und wirtschaftlichen Krisenjahrzehnts nach 1980”. Sie habe wesentlich dazu beigetragen, dass Österreich den zweifelhaften Beinamen “Republik der Skandale” erhielt – neben jenem um den Bau des Wiener AKH, dem Weinskandal, verschiedenen Wohnbauskandalen und den bleiernen Jahren unter dem international isolierten Bundespräsidenten Kurt Waldheim.
Es sei auch das Ende des zuvor viel gelobten “Austro-Keynesianismus” gewesen, sagt Riegler: “Es war einer der letzten großen Versuche, über die Politik Arbeitsplätze zu sichern.” (erschienen im Standard – Petra Stuiber, 3.1.2016)